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Gedanken zu Rettungsschirm und Fiskalpakt und den Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht

 

Die Morgennachrichten in Bayern 5 Aktuell vom 10. Juli 2012 brachten mich zu den hier folgenden Gedanken.

 

Auch diese Nachrichten waren einmal mehr ein krasses Beispiel dafür, wie man jeden Tag in den Medien manipuliert wird – oder schlimmer noch, wieweit wir in 30 Jahren neoliberaler Umformung der Gesellschaft in Sachen Manipulation schon gekommen sind: Mittlerweile sind wir fast alle bis einschließlich der sog. Elite dieser Gesellschaft schon so manipuliert, dass wir es nicht einmal mehr merken. Wie weit hat sich der ganze Kompass der Gesellschaft in den letzten 30 Jahren schon verschoben?

Morgennachrichten in Bayern 5 Aktuell, 7 Uhr und 7.30 Uhr. Es geht um die Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht in Sachen permanenter Rettungsschirm und Fiskalpakt. O-Ton des Reporters Martin Röber (kursiv): Heute […] werden die Richter ganz konkret nachfragen: Wie steht es denn, wenn wir eine einstweilige Verfügung erlassen? Bricht dann alles zusammen? Spielen dann die Märkte verrückt? So sieht es die Bundesregierung.“

Also, die Bundesregierung singt man wieder Merkels Lieblingslied „Alternativlos“. Nun ja, das kennen wir ja schon zur Genüge. Das reicht aber noch nicht, später im Bericht heißt es dann noch, würde das BVG eine einstweilige Verfügung gegen diese Vorhaben erlassen, dann, so Stimme Röber „hätte [das] drastische Folgen, so kommt es aus Union und FDP“. Also, Merkels Sekundanten sekundieren bei der Drohkulisse gegen das BVG mit dem Song „Alternativlos“, das sind wir ja auch schon gewohnt. Und wer regt sich darüber noch auf?

Und das Bundesverfassungsgericht? Das wägt den Nachrichten bzw. Röber zufolge tatsächlich die möglichen Folgen einer einstweiligen Verfügung ab. Bitte, sich daran zu erinnern: das BundesVERFASSUNGSgericht. Das hat ja eigentlich darüber zu entscheiden, ob etwas mit der VERFASSUNG konform ist oder nicht. Und, zur Erinnerung: Die „Märkte“ kommen in der Verfassung, im Grundgesetz schlichtweg nicht vor. Die Richter haben aber offenbar – wie der Großteil der Gesellschaft – die „Märkte“ als eine Art übergeordnete Gewalt schon so verinnerlicht, dass sie die Ungeheuerlichkeit, die darin liegt, die „Märkte“ in ihre Überlegungen einzubeziehen oder einbeziehen zu müssen, überhaupt nicht mehr erkennen und den Widerspruch, in dem das grundsätzlich zur Verfassung steht, gar nicht mehr realisieren.

Später in seinem Bericht sagt Röber dann noch einmal, die Richter hätten „angekündigt, sich auch mit den Folgen für die Finanzmärkte befasst […] zu haben.“ Also, das war es noch einmal für alle, die es bei der ersten Erwähnung noch nicht kapiert haben. Wiederholen wir: Die „Märkte“ kommen in der Verfassung schlichtweg nicht vor. Wer sie in die Überlegungen bei einer solchen Entscheidung einbezieht, begeht schon dadurch schlichtweg einen VERFASSUNGSBRUCH. Nun könnte man argumentieren, das Verfassungsgericht hätte leider gar keine andere Wahl, als die Folgen seiner Entscheidung auf die „Märkte“ einzukalkulieren, wenn es halbwegs verantwortungsbewusst gegenüber der Gesellschaft handeln will. Es wäre dann im Hinblick auf die Folgen in der Tat „alternativlos“ für das Bundesverfassungsgericht, alles durchzuwinken. Das wäre ja genau das, was die Bundesregierung und ihre Gefolgsleute dem Gericht aufdrängen wollen.

Das hieße dann aber, man könnte in diesem Fall das BVG vom Vorwurf eines möglichen Verfassungsbruchs freisprechen und müsste die Schuld für einen solchen Verfassungsbruch bei denen suchen, die dafür verantwortlich sind, dass das BVG in diesem Fall gezwungen war, „alternativlos“ quasi mit der „Wahlfreiheit“ eines DDR-Bürgers im Wahllokal zu entscheiden. Und dann landen wir ja wohl bei niemand anderem als bei dieser Bundesregierung – wie auch schon bei der schwarz-roten Vorgängerregierung – , die es schlichtweg versäumt hat/haben, die Finanzmärkte so zu regulieren bzw. auf EU- und internationaler Ebene sich voll dafür einzusetzen, dass die Finanzmärkte so stark reguliert werden, dass das BVG in einem solchen Fall eben nicht „alternativlos“ im Hinblick auf die Folgen seiner Entscheidung zu entscheiden gezwungen wäre.

Und genau das hat die Bundesregierung nicht getan. Und, hier kein Blick aus Deutschland heraus: Man kann ja wohl nicht ernsthaft die EU oder die G20 oder die internationale Staatengemeinschaft für den Bruch der DEUTSCHEN Verfassung verantwortlich machen… Somit geht der Vorwurf des VERFASSUNGSBRUCHS an die Bundesregierungen zumindest ab dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 (von der Zeit davor reden wir jetzt mal gar nicht), die es eben zu diesem Zustand haben kommen lassen.

Nun könnte man bissig kommentieren, fast die ganze Gesellschaft einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, der Bundesregierung und der Reporter des BR habe mittlerweile die dominante Stellung der „Märkte“ schon so verinnerlicht, dass sie gar nicht mehr merken, dass diese mit keinem Wort in der (geschriebenen) Verfassung erwähnt sind, und sie alle die „Märkte“ de facto als „fünfte Gewalt“ (wenn man die Medien als die vierte sieht) verinnerlicht haben. (De facto sind die „Märkte“ heute ohnehin ja sogar schon die erste Gewalt, nach deren Pfeife alle anderen tanzen, aber das nur am Rande).

Ein bedenkliches Zeichen für die gesellschaftsweite Verinnerlichung der „Wir-müssen-auf die-Märkte-schauen“-Logik ist es dann auch, dass selbst die Kläger, die vor dem Bundesverfassungsgericht Klage gegen den dauerhaften Rettungsschirm und den Fiskalpakt eingereicht haben, ganz in dieser Logik gefangen sind und entsprechend argumentieren, wenn man den Nachrichten glauben darf. Wie argumentieren sie denn gegen die Auffassung der Bundesregierung, die Ablehnung der Klagen sei „alternativlos“, da sonst die „Märkte zusammenbrechen“ würden?

O-Ton Martin Röber, direkte Fortsetzung des oben zuerst gebrachten Zitats: „Die Kläger halten das für absurd. Sie verweisen darauf, der Stabilitätsmechanismus tritt doch erst 2013 in Kraft […] Und den permanenten Rettungsschirm braucht man doch noch gar nicht“ [es folgt die Begründung dafür]. Was für eine armselige Argumentation, und wie weit ist sie dem „alternativlos“ von Merkel und Co. Doch auf den Leim gekrochen! Die intellektuellen Scheuklappen sind hier bestens zu sehen. Außerhalb der Marktlogik gibt es keine Logik, auch nicht für die Kritiker derselben.

In den BR-5-Nachrichten von 8.00 Uhr werden dann die Warnungen „aus Union und FDP“, wie es in den Nachrichten um 7 und 7.30 Uhr nur kurz geheißen hatte, näher spezifiziert. Da wirft jetzt u. a. Graf Lambsdorff den Verfassungsrichtern vor, sie hätten zu wenig Ahnung von den Vorgängen in der EU für eine solche Entscheidung – was ja sicher von Lambsdorff nur für den Fall gemeint ist, dass die Richter den permanenten Rettungsschirm und den Fiskalpakt stoppen. Eine Entscheidung in seinem Sinne auch von Richtern, die zu wenig Ahnung (oder was er darunter versteht) haben, wäre ihm ja sicher doch recht.

Immanent bei Lambsdorff auch wieder die Logik: Nicht nur die Verfassung ist relevant für die Entscheidungen des Verfassungsgerichts. In diesem Fall wäre also auch die EU relevant, und damit – da diese sich von den „Märkten“ vorführen lässt – auch wieder eben die „Märkte“.

Und, unabhängig von allen Einzelheiten, sieht man an diesem kurzen Nachrichtenbeitrag: Mit (fast) allem, was uns die Mainstreammedien seit vielen Jahren vorsetzen, werden wir in die eine Richtung manipuliert, die von den Finanzmärkten dominierte Welt nicht nur zu akzeptieren, sondern sie für so selbstverständlich zu halten, als gäbe es überhaupt nichts anderes mehr, und die drückende Belastung, die das für uns alle bedeutet, möglichst gar nicht mehr wahrzunehmen. Die meisten sind mittlerweile soweit, dass sie außerhalb der engen Grenzen der neoliberalen Marktlogik überhaupt nicht mehr denken können – und diese Beschränkung dabei auch gar nicht mehr wahrnehmen. Und das ist Manipulation in höchster Vollendung.